Bahnaugenblicke

Antiautoritäres, Fluch der 68’er


In den siebziger Jahren saß ich in der S-Bahn einem netten jungen Mann gegenüber. Interessiert und konzentriert war er in seine Zeitung vertieft. Da stieg eine junge Mutti mit einem entzückenden Töchterchen ein. Das Kindlein wollte gern und unbedingt meinen Platz am Fenster einnehmen. Sie hatte mich nicht so richtig darum gebeten, aber ich selbst, eben Mutter geworden, machte dem Mädchen Platz. Von dort aus begann sie ihre Macht und Ränke aufzubauen. Sie setzte ihre Puppe demonstrativ neben mich und deutete mir an, diesem Püppchen doch mehr Platz zu machen. Als die Puppe gut platziert war, schweiften ihre hübschen Augen mit Interesse auf ihr Gegenüber dort hinter der Zeitung. Sie zupfte an der Zeitung, dann rupfte sie an seinem Hosenbein, dann lächelte sie den Mann hinter der Zeitung  an und sagte ihm, „spiel jetzt mit mir“. Der nahm wieder die Zeitung und wollte weiter lesen, aber sie grabschte in die Zeitung und lachte ihn an und schrie laut. Der lachte erst einmal zurück. Und die Mama sagte: Pardon, mein Kind ist antiautoritär erzogen. Dann gab sie ihrer Mutter zu verstehen, sie wolle jetzt trinken und machte sich einen Spaß daraus, dem Zeitungsleser ihr Getränk anzubieten. Der lehnte dankend ab. Das hat ihr nicht gefallen, so kippte sie ihm den Rest auf die weiße Hose. Er säuberte sich, so gut es ging. Dann verlangte das Kind lauthals nach Schokolade. Die Mutter gab ihr eine ganze Tafel und sah zu, wie das Kind zu matschen anfing. Mit den verschmierten Fingern grabschte sie auf die weiße Hose des Mannes. Dem rutschte die verkehrte Hand kräftig aus und landete im Puppengesicht. Im Weggehen sagte er: Pardon, Madame, auch ich bin antiautoritär erzogen. Und er stieg aus.

Herrschaften…

Von 1960 - 63 fuhr ich regelmäßig mit der Straßenbahn vom S-Bahnhof Prenzlauer Allee in die Josty-Straße. In der Neuen Königsstraße war eine Kinderkrippe. Oft musste ich mehrere Bahnen abwarten, weil auf dem Perron nicht immer Platz für meinen Kinderwagen war. Kassiert wurde durch einen Schaffner, der das Wundergerät von Münzbehältern umgeschnallt hatte und mit großer Fingerfertigkeit wechseln konnte. Einmal bin ich auch auf einen mit Mundfertigkeit getroffen. Er fragte: „Verehrte Herrschaften, wer hat noch keinen Fahrschein?“. Da meldet sich ein Berliner Original und sagt laut in die Runde: „Männe, haste det verpennt, hier jibt es kene Herrschaften mehr“! Darauf der flotte Kassierer nach einer Pause: „Arbeiter und Bauern, raus mit dem Geld“!  Schallendes Lachen in der Bahn. Soviel Spaß für 20 Pfennige…

Hautfarbenbekanntschaften


Mein Mädchen war wohl zwei Jahre alt, als wir in der S-Bahn einem Afrikaner gegenüber saßen. Sie schaute und schaute, rutschte mir vom Schoß, ging auf den Afrikaner zu, nahm ihr Zeigerfingerchen, strich ihm übers Gesicht und sah sich zweifelnd ihr Fingerchen an.

(Margrit Pawloff, Berlin )



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